Die TIB unterzeichnet die Barcelona Declaration on Open Research Information

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Die heute, am 16. April 2024, veröffentlichte Barcelona Declaration on Open Research Information zielt darauf, den Wert öffentlich zugänglicher Forschungsinformation für die wissenschaftliche Community sowie für eine transparente und faire Bewertung ihrer Akteur:innen und ihrer Ressourcenallokation stärker hervorzuheben. Die TIB ist Erstunterzeichnerin dieser Erklärung. Hier möchten wir erläutern, was diese Erklärung bedeutet und warum die TIB sie unterstützt.

Was sind Forschungsinformationen und wozu benötigt man sie?

Der Begriff „Forschungsinformationen“ beschreibt das Vorhalten von Metadaten über Akteur:innen, Ergebnisse und Ressourcen des Forschungssystems: zum Beispiel Forschende, Forschungsorganisationen (auch Förderer), Forschungsprojekte, Konferenzen, Forschungsdaten, Forschungssoftware oder wissenschaftliche Monographien und Zeitschriftenartikel.

Die Beschreibung dieser Akteur:innen, Ergebnisse und Ressourcen ist für ihre Sichtbarkeit und Auffindbarkeit unerlässlich. Um ineffektive Doppelforschung zu vermeiden, sollten Forschende in der Lage sein, den Stand der Forschung und durchgeführte Forschungsprojekte zu identifizieren. Sie wollen herausfinden, auf welchen Konferenzen sie ihre Erkenntnisse präsentieren und diskutieren können. Förderer und Forschungspolitik möchten Trends erkennen können. Auch die Evaluierung von Forschungsinstitutionen und Personalentscheidungen – zum Beispiel in Berufungsverfahren – beruhen zum Teil auf Forschungsinformationen.

Warum offene Forschungsinformationen?

Wenn die Forschungsinformationen zu den vorab erwähnten Zwecken nicht frei verfügbar sind, ist ein fairer, inklusiver und transparenter Wissenschaftsbetrieb nicht möglich. Wenn die Grundlage für Forschungsevaluierung – sowohl die zugrunde liegenden Metadaten als auch die verwendeten Algorithmen – nicht nachvollziehbar sind, können Fehler oder Lücken in den Daten nicht identifiziert und korrigiert werden. Einer ungerechten und tendenziösen Beurteilung kann dann nicht sinnvoll entgegentreten werden.

Auch aus institutioneller Perspektive sind offene Forschungsinformationen sehr nützlich. Möchte man ein Forschungsinformationssystem aufbauen oder einen Bibliothekskatalog mit Zitationszahlen oder Projektmetadaten anreichern, müssen die dazu notwendigen Metadaten bislang meist selbst erstellt oder für viel Geld lizenziert werden. Mit einer Allmende offener Forschungsinformationen profitieren alle von den Beiträgen aller.

Die Barcelona Declaration on Open Research Information

Die Barcelona Declaration postuliert vier Verpflichtungen für die unterzeichnenden Organisationen. Diese Verpflichtungen beschreiben den Umgang mit offenen Forschungsinformationen, die für sie notwendige Infrastruktur sowie notwendige Schritte, um die Transformation zur Offenheit von Forschungsinformationen voranzutreiben.

Wir haben die vier Verpflichtungen übersetzt und zeigen auf, wie und wo sie von der TIB durch ihre Aktivitäten bereits Anwendung finden.

Commitment 1: Wir machen Offenheit zum Standard für die von uns verwendeten und produzierten Forschungsinformationen

  • Offenheit wird die Norm für die Forschungsinformationen sein, die wir nutzen, zum Beispiel bei der Evaluierung von Forschenden und Institutionen, als Grundlage strategischer Entscheidungen und zum Auffinden relevanter Forschungsergebnisse.
  • Offenheit wird die Norm für die Forschungsinformationen sein, die wir produzieren, zum Beispiel Informationen über unsere Aktivitäten und Ergebnisse, mit Ausnahme von Informationen, für die Offenheit unangemessen wäre, insbesondere aus Gründen des Datenschutzes (‘so offen wie möglich, so geschlossen wie nötig‘).
Das Auffinden relevanter Forschungsergebnisse ermöglicht die TIB seit ihrer Gründung. Neben der Katalogisierung durch die TIB wird dazu auch auf verschiedene offene Datenquellen zurückgegriffen, mit denen unsere bibliographischen Daten ergänzt und angereichert werden. Dazu gehören zum Beispiel 1,2 Millionen Werke aus der Bielefeld Academic Search Engine (BASE) sowie etwa 1,4 Millionen Werke aus DataCite. Mit dem Dienst B!SON ermöglichen wir Autor:innen das einfache Auffinden thematisch passender Open-Access-Zeitschriften für ihre Artikeleinreichungen. Der Dienst nutzt dafür offene Forschungsinformationen von DOAJ und OpenCitations.

Die Metadaten des TIB-Portals sind als offene Forschungsinformationen erhältlich. Regelmäßig werden sämtliche von der TIB für den Bibliothekskatalog erfassten bibliographischen Daten aus den Fachrichtungen von Technik und Naturwissenschaften (TIBKAT-Daten) sowie die Metadaten der über das TIB-Portal frei verfügbaren elektronischen Bestände veröffentlicht. Aktuell sind dies etwa 42,6 Millionen Einträge (davon 5,4 Millionen aus dem TIBKAT). Die Daten sind als Dump in verschiedenen Formaten oder über verschiedene Schnittstellen verfügbar, die in einem öffentlichen Wiki dokumentiert sind. Auch eine OAI-PMH-Schnittstelle ist verfügbar, zum Beispiel um die bibliographische Beschreibung eines Werks über Open Linked Data in Bibliotheken maschinenlesbar abzurufen. Weitere Informationen gibt es auf https://www.tib.eu/de/services/open-data.

Ein weiteres Beispiel ist der Open Research Knowledge Graph (ORKG), in dem die Inhalte wissenschaftlicher Publikationen detailliert beschrieben und analysiert werden können. Der ORKG basiert vollständig auf offenen Prinzipien und stellt alle Metadaten über offene Schnittstellen zur Verfügung. Für den Export stehen verschiedene Optionen zur Verfügung: ein vollständiger Dump, eine Schnittstelle, ein SPARQL-Interface und sogar eine eigens für den Umgang mit dem ORKG geschaffene Python-Bibliothek.

Commitment 2: Wir werden mit Diensten und Systemen arbeiten, die offene Forschungsinformationen unterstützen und ermöglichen

  • Für Publikationsdienste und -plattformen werden wir sicherstellen, dass Forschungsinformationen, die im Rahmen von Veröffentlichungsprozessen erzeugt werden (zum Beispiel Metadaten von Forschungsartikeln und anderen Ergebnissen) über offene wissenschaftliche Infrastrukturen offen zugänglich gemacht werden, und zwar sofern verfügbar unter Verwendung von Standardprotokollen und -identifikatoren.
  • Bei Systemen und Plattformen für die interne Verwaltung von Forschungsinformationen (zum Beispiel Forschungsinformationssysteme) werden wir sicherstellen, dass alle relevanten Forschungsinformationen exportiert und offengelegt werden können, sofern verfügbar unter Verwendung von Standardprotokollen und -identifikatoren.
Das AV-Portal der TIB feiert gerade seinen 10. Geburtstag. Seit 2016 werden die Metadaten des AV-Portals unter einer CC0-Lizenz veröffentlicht. Das bedeutet, dass die Beschreibungen zu insgesamt 46.000 Videos aus der wissenschaftlichen Community frei verfügbar und nachnutzbar sind. Die Metadaten-Dumps beinhalten unter anderem Publisher, Titel, DOI, Lizenz und eine inhaltliche Erschließung. Das Datenmodell ist ausführlich auf der Webseite https://av.tib.eu/opendata erläutert, um die Nachnutzungsmöglichkeit zu vereinfachen und transparent zu halten. Unser Diamond-Open-Access Verlag TIB Open Publishing stellt die Metadaten der Publikationen frei zur Verfügung und nutzt offene Forschungsinformationstandards wie DOI, ORCID und ROR.

Die TIB ist eine wesentlicher Akteurin in der nationalen und internationalen Landschaft der persistenten Identifier (PIDs). Ob bei der Gründung von DataCite, im ORCID-Konsortialservice oder in Initiativen zur Schaffung von Identifiern für Konferenzen: Stets sind offene sowie eindeutig und persistent referenzierbare Metadaten das Ziel dieser Aktivitäten. Auf diese Weise werden Forschungseinrichtungen dabei unterstützt, eigene Datenbanken wie Forschungsinformationssysteme auf- und auszubauen. Wir beteiligen uns auch an der Entwicklung von Open-Source-Software, mit der Forschungsinformationssysteme oder Publikationsplattformen betrieben werden. Neben unseren Services und Aktivitäten rund um das Open-Source-Forschungsinformationssystem VIVO sind da auch verschiedene Erweiterungen der freien Journal-Management-Software Open Journal Systems (OJS), um direkt im Publikationsprozess Metadaten zu erfassen und frei und maschinenlesbar verfügbar zu machen.

Commitment 3: Wir werden die Nachhaltigkeit von Infrastrukturen für offene Forschungsinformationen unterstützen

  • Wir übernehmen Verantwortung für die Unterstützung von Infrastrukturen für offene Forschungsinformationen, indem wir uns beispielsweise an Community-Aufbau und -Governance beteiligen und faire und angemessene Beiträge zur finanziellen Stabilität und Entwicklung dieser Infrastrukturen leisten.
  • Wir erwarten von den von uns unterstützten Infrastrukturen, dass sie bewährte Verfahren für Community-Governance und Nachhaltigkeit anwenden (zum Beispiel die Principles of Open Scholarly Infrastructure).
Die TIB hat eine lange Tradition der Zusammenarbeit mit neuen und etablierten Akteur:innen in der Forschungsinfrastrukturlandschaft. Ein frühes und prominentes Beispiel dafür ist der Aufbau der DOI-Registratur DataCite. Der gemeinnützige Verein hat seit seiner Gründung 2009 nachhaltige Governance-Strukturen aufgebaut und in Kooperation mit seinen Mitgliedern einen international akzeptierten Metadatenstandard zur Beschreibung und dauerhaften Referenzierbarkeit digitaler Objekte entwickelt. Die mit diesen Objekten verknüpften Metadaten sind frei nachnutzbar. Darüber hinaus hat die TIB über die Beteiligung am DFG-geförderten Projekt ORCID-DE aktiv zur Etablierung und Verbreitung der Open Researcher and Contributor ID (ORCID) in Deutschland beigetragen. Die TIB führt das deutsche ORCID-Konsortium mit über 80 institutionellen Mitgliedern aus der deutschen Wissenschaftslandschaft und unterstützt die Integration des PID-Dienstes in deren Infrastrukturen.

Dort, wo wir durch Mitarbeit oder Mitfinanzierung an Infrastrukturen beteiligt sind, erwarten wir eine nachhaltige und community-basierte Organisationsform.

Commitment 4: Wir werden kollektive Maßnahmen zur Beschleunigung des Übergangs zur Offenheit von Forschungsinformationen unterstützen

  • Wir erkennen an, wie wichtig Erfahrungsaustausch und Maßnahmenkoordinierung sind, um einen systemweiten Übergang von geschlossenen zu offenen Forschungsinformationen zu fördern.
  • Um dies zu begünstigen, unterstützen wir die Gründung einer Koalition für Offene Forschungsinformationen und die Stärkung der Zusammenarbeit mit weiteren verwandten Initiativen und Organisationen.
Schon jetzt sind wir in verschiedenen Netzwerken und Initiativen im Feld der offenen Forschungsinformationen aktiv. Dies reicht von Vernetzungsaktivitäten wie PID Network Deutschland über die Mitarbeit in der Kommission für Forschungsinformationen in Deutschland (KFID), die DINI AG Forschungsinformationen und Systeme bis hin zur Unterstützung bei der Überarbeitung von Standards wie CERIF. Dies schließt aber auch den fachlichen Austausch auf einschlägigen Konferenzen und die Kommunikation des Themas zum Beispiel hier im Blog mit ein.

Das Feld der Forschungsinformationen ist im Umbruch. Neue Akteur:innen etablieren sich, Offenheit wird mehr denn je thematisiert. Eine globale Koalition für Offene Forschungsinformationen ist sinnvoll und notwendig, um diese Transformation anzutreiben und in sinnvolle Bahnen zu lenken. Mit den Worten von Sören Auer, Direktor der TIB:

Openness, Offenheit, ist ein zentraler Wert für die TIB und Forschungsinformationen sind die Grundlage unserer Arbeit sowohl als Forschungseinrichtung als auch als Anbieter von wissenschaftlicher Infrastruktur. Die allgemeine Verfügbarkeit von frei nutzbaren Metadaten über wissenschaftliche  Prozesse, Akteur:innen und Output befördern Transparenz und Sichtbarkeit für Wissenschaft in der Gesellschaft ebenso wie den Innovations- und Wissenstransfer in die Wirtschaft. Die Unterzeichnung der Barcelona-Erklärung ist daher der richtige und notwendige erste Schritt hin zu einer globalen Koalition für offene Forschungsinformationen.

Sören Auer

... arbeitet im Open Science Lab der TIB und beschäftigt sich dort (überwiegend) mit offenen Forschungsinformationen und Open Science. Weitere Informationen: https://tib.eu/christianhauschke

... works at TIB PID Competence Center.
https://orcid.org/0000-0002-0474-2410

... leitet den Bereich Publikationsdienste der TIB und koordiniert deren Open-Access-Aktivitäten.

https://orcid.org/0000-0002-5111-2788