Arbeiten mit direktem Bezug zum echten Leben

Jährlich am 10. Dezember erfolgt die Preisverleihung der Nobelpreise sowie des Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften. Im Jahr 2021 werden die US-Ökonomen David Card, Joshua D. Angrist und Guido W. Imbens für ihre Forschung in den Bereichen Arbeitsökonomie und wirtschaftlicher Kausalzusammenhänge ausgezeichnet.

David Card, Joshua D. Angrist und Guido W. Imbens (Illustration Ill. Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)

Die drei Preisträger haben Gemeinsamkeiten in ihren wissenschaftlichen Arbeiten – sie forschen zu Situationen und Fragen, die aus praktischen oder ethischen Gründen, nicht in Experimenten untersucht werden können. Beispielsweise, wie sich Einwanderung auf den Arbeitsmarkt auswirkt, da dieses kaum bzw. gar nicht simuliert werden kann. Methodisch haben sie die Ökonomie bei der Frage von Korrelation und Kausalität vorangebracht.

David Card (Illustration Ill. Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)

David Card erhält die Auszeichnung und die Hälfte des Preisgeldes für seine empirischen Beiträge zur Arbeitsmarktökonomie. Er hat bereits in den frühen 1990er-Jahren die Auswirkungen von Mindestlohn-Erhöhungen am Beispiel der Beschäftigung in Fast-Food-Restaurants untersucht. Dazu verglich er die Folgen der Mindestlohn-Erhöhung im Bundesstaat New Jersey mit der Lage im benachbarten Pennsylvania, wo es eine solche Lohnuntergrenze nicht gab.

Das überraschende Ergebnis war eine Zunahme der Beschäftigung in New Jersey – trotz der Anhebung des Mindestlohnes, denn damit verbesserte sich auch die lokale Kaufkraft. Card konnte außerdem zeigen, dass niedrige Mindestlöhne die Fluktuation in den Unternehmen erhöhte und Stellen länger unbesetzt blieben. Bei einem angemessenen Mindestlohn stieg dagegen die Loyalität der Beschäftigten gegenüber ihrem Arbeitgeber.

Ein Favorit für den Wirtschaftsnobelpreis war Card trotzdem nicht, weil die Daten aus seinen Forschungen oft schwer zu interpretieren sind. Die Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften in Stockholm zeigte sich dennoch überzeugt. Tatsächlich wurde Card seit 2013 immer wieder als einer der Favoriten für den Nobelpreis gehandelt, weil er zu den weltweit am häufigsten zitierten Ökonomen gehört. In seinen Veröffentlichungen geht es dabei auch um die Erkundung der Schattenseiten des Kapitalismus. Sein Spezialgebiet ist die Armuts- und Arbeitsmarktforschung. Darüber hinaus hat sich Card mit den Themen Rassentrennung und Immigration und deren Wirkungen auf Beschäftigung befasst. Auch den Einfluss des Bildungsgrades oder der Höhe der Bezahlung auf die Gesundheit der Menschen wurden von ihm untersucht und in zahlreichen Artikeln und Büchern veröffentlicht. Sein vielleicht bekanntestes Buch, das er gemeinsam mit Alan Krueger verfasste, trägt den Titel „Myth and Measurement: The New Economics of the Minimum Wage“. Im Bestand der TIB ist das Buch in zwei Ausgaben am Standort Conti-Campus zu finden.

Joshua D. Angrist (Illustration Ill. Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)
Guido W. Imbens (Illustration Ill. Niklas Elmehed © Nobel Prize Outreach)

Joshua Angrist und Guido Imbens haben in eine ähnliche Richtung wie Card geforscht und teilen sich die zweite Hälfte des Preises. Das Wirtschafts-Nobelpreiskomitee erklärte, dass auch ihre Arbeit für ein besseres Verständnis des Arbeitsmarktes gesorgt habe. Sie haben vor allem die Methodik in den Wirtschaftswissenschaften vorangebracht und als erste den sogenannten „Local Average Treatment Effect“ beschrieben. Damit können bessere Aussagen über die Wirkung bestimmter Ereignisse auf Individuen getroffen werden. Die beiden Forscher haben bei der Anwendung natürlicher Experimente ein methodologisches Problem gelöst, um die Daten besser zu interpretieren und „präzise Schlüsse“ über Ursache und Wirkung zu ziehen.

Viele der großen Fragen in den Sozialwissenschaften hätten mit Ursache und Wirkung zu tun – etwa, wie sich Einwanderung auf das Lohn- und Beschäftigungsniveau auswirke. Diese Fragen seien schwer zu beantworten, weil es dazu keine Vergleiche gebe. „Wir wissen nicht, was passiert wäre, wenn es weniger Zuwanderung gegeben hätte“, so die Königlich Schwedische Akademie. Die diesjährigen Preisträger hätten jedoch alle gezeigt, dass es möglich sei, solche und ähnliche Fragen mit natürlichen Experimenten zu beantworten.

Alle drei Forscher „haben uns neue Erkenntnisse über den Arbeitsmarkt geliefert und gezeigt, welche Schlussfolgerungen über Ursache und Wirkung aus natürlichen Experimenten gezogen werden können“, begründete die Akademie ihre Entscheidung. Ihr Ansatz habe auf „andere Bereiche übergegriffen und die empirische Forschung revolutioniert“. Konkret wurde vom Komitee in diesem Zusammenhang die Corona-Pandemie genannt: Mit den Methoden von Card, Angrist und Imbens kann erforscht werden, wie sich die Pandemie und das Homeschooling auf den Lebensweg und das spätere Einkommen der Schülerinnen und Schüler auswirken kann und wird.

Lust auf mehr? Im TIB-Portal sind zahlreiche Veröffentlichungen von Card, Angrist und Imbens zu finden und darüber hinaus auch viele weitere Publikationen zum Thema Arbeitsökonomie. Diejenigen, die sich lieber visuell informieren möchten, finden im AV-Portal unter anderem Filme zum Thema Zukunft der Arbeit – hier geht’s zur Watchlist.

ist Fachreferentin für Biologie, Gartenbau, Umwelttechnologien und Wirtschaftswissenschaften an der Technischen Informationsbibliothek (TIB) und zuständig für die Ausbildungskoordinierung (höherer Dienst).