TIB Themencast, Folge 5: „Über SURF, NOSTR und Meta – wie datensouverän und dezentral sind wir im Fediverse?“

Willkommen bei der fünften Folge des TIB Themencasts! Im Themencast „Das Mastodon im Porzellanladen“ geht es um das Fediverse und die Wissenschaft. Warum benutzen so viele Wissenschaftler:innen Twitter und andere Social-Media-Dienste? Was ist bei dezentralen Diensten wie Mastodon anders? Wird Mastodon je Twitter voll ersetzen können – oder ist vielleicht schon diese Frage falsch gestellt? In sieben kurzen Folgen, von Januar bis April 2023, werde ich, Lambert Heller, schlaglichtartig auf diese Fragen eingehen. Hört rein und kommentiert – viel Vergnügen!

Folge 5: Über SURF, NOSTR und Meta – wie datensouverän und dezentral sind wir im Fediverse?

In dieser Folge gehen wir auf interessante Details des Identitätsmanagements beim Mastodon-Pilotprojekt von SURF und den niederländischen Hochschulen 2023 ein und – im scharfen Kontrast dazu – auf NOSTR. NOSTR will eine noch dezentrale Alternative zum Fediverse sein und macht dabei zumindest einiges richtig. Zwischendurch beleuchten wir die Mehrdeutigkeit des Begriff „Datensouveränität“ und schauen abschließend in den Kaffeesatz, in dem sich vielleicht bereits die nächsten Anstürme neuer Benutzer:innen auf das Fediverse abzeichnen.

Den TIB Themencast findet ihr überall, wo es Podcasts gibt, und hier:

Hier in den Shownotes bieten wir weiterführende Informationen zu den Themen der jeweiligen Folge – chronologisch in Stichpunkten.

Das Mastodon-Pilotprojekt im niederländischen Bildungswesen 2023 hat einige interessante Besonderheiten, insbesondere hinsichtlich des Identitätsmanagements und der Souveränität von dessen Nutzer:innen:

  • Zunächst ein Blick zurück auf Folge 2 unserer Podcast-Reihe: Dort hatten wir uns einen Überblick darüber verschafft, dass derzeit auch diverse Forschungs- und Bildungsinstitutionen im Fediverse aktiv werden und dabei die unterschiedlichen Herangehensweisen betrachtet.
  • Erwähnt hatten wir in dieser Folge unter anderem, dass der „Verband SURF und die niederländischen Hochschulen (…) noch 2023 ein institutionelles Mastodon-Angebot für das gesamte Bildungswesen der Niederlande erproben“ wolle. Dazu sind nun weitere interessante Details bekannt geworden:

„SURF designed the following system. SURF hosts a single Mastodon instance, social.edu.nl. Only people who are currently part of the SURF network, meaning all current students and researchers, can join.“

      • People join via their existing institution ID. This has the following advantages: Skip the registration process.
      • Users decide if you prefer to stay anonymous or if they want to use their own identify. All users, even the anonymous ones, are guaranteed part of the Dutch research and education network, due to the mandatory use of the institution ID login.
      • It offers managed “group accounts”, an account that multiple people can access without having to share passwords for that account.
  • Mastodon in das bestehende Identifikationsmanagement zu integrieren, macht diesen Ansatz bequem und sicher. Bemerkenswert an der Umsetzung ist unter anderem, dass es den Endnutzer:innen freigestellt bleibt, welchen Mastodon-Benutzernamen sie wählen. In Deutschland war erst im vergangenen Jahr der Versuch von Facebook, gegen seine Benutzer:innen weltweit eine Klarnamenspflicht durchzusetzen, gerichtlich kassiert worden. (Das ZDF berichtete.) Unter anderem die US-Bürgerrrechtsorganisation EFF hatte bereits 2015 dargelegt, wie Facebook seinen Benutzer:innen mit dieser Namenspolitik schadet.
  • Das Interview im Fediverse-Report geht noch auf weitere interessante Fragen ein, unter anderem auf den Vorschlag, Alumni und ehemalige Mitarbeiter:innen ihre Mastodon-Benutzerkonten behalten zu lassen. Wobei das eine weniger kritische Frage ist, da den Benutzer:innen der Umzug“ mit ihrem Benutzerkonto auf eine andere Instanz bei Mastodon ja absichtlich leicht gemacht wird.

Während wir mit dem obigen Beispiel aus den Niederlanden heute einmal mehr darauf eingegangen sind, wie institutionelle Player im Fediverse in die Verantwortung gehen, wird von den Befürworter:innen eines Decentralized Web quasi das entgegengesetzte Extrem stark gemacht: Ansätze wie NOSTR, mit noch mehr Souveränität und Verantwortung für alle einzelnen Endnutzer:innen, und so wenig Vertrauen in vermittelnde Instanzen wie überhaupt nur möglich.

  • NOSTR steht für Notes and Other Stuff Transmitted by Relays“, und will es noch konsequenter dezentral angehen als das Fediverse – ein alternativer Ansatz also, der jedoch im Windschatten des Fediverse ebenfalls Aufmerksamkeit erregt.
  • Die Verwaltung des Schlüsselmaterials ist beim Identitätsmanagement bei solchen dezentralen Netzwerken ein kritischer Punkt. NOSTR macht es hier richtig, indem es auf eine moderne Lösung setzt, die sich im Internet auch für traditionelle Anwendungsszenarien wie private E-Mail-Verschlüsselung durchgesetzt hat: Web Key Directory (WKD). Im Kuketz-Blog wird beschrieben, wie man WKD auf einem eigenen Server einrichtet, oder, etwas bequemer, bei Privatsphäre-freundlichen kommerziellen E-Maildiensteanbietern.
  • NOSTR fühlt sich so an wie GNU Social, quasi ein Vorläufer von Mastodon, vor circa zehn Jahren – es ist höchstens was für Nerds. Trotzdem kann man das ruhig mal ausprobieren, es gibt mittlerweile sogar Apps für das Smartphone, die NOSTR unterstützen.

Wer ist hier eigentlich datensouverän“? Die Mehrdeutigkeit dieses Begriffs musste ich im Rahmen der Podcast-Serie einfach einmal thematisieren.

  • Souveränität ist neben Dezentralität eines der häufigsten Buzzwords, das uns übrigens auch aus der Diskussion über Forschungsinfrastruktur geläufig ist. Stefan Kaufmann hat diese Ambivalenz in seinem Blog einmal näher betrachtet.
  • Aktuell lässt sich die von Stefan Kaufmann beschriebene Ambivalenz mal wieder gut beobachten, undzwar anhand der Diskussion über die Chatkontrolle“. Einerseits rühmen sich EU und Deutschland dafür, sich und ihre Bevölkerung gegen mögliche Überwachungsangriffe aus China oder den USA zu schützen, andererseits wird angeregt darüber diskutiert, die private Kommunikation der eigenen Bürger:innen voll zu überwachen. (Vgl. den Hashtag Chatkontrolle auf Netzpolitik.)

Der Erfolg von Mastodon hat den TIB-Themencast diesmal überholt.

  • Eine beliebte Kennzahl für die Popularisierung neuer Anwendungen ist die Frage, wie lange es dauert, bis die Anwendung die Schwelle von 100 Millionen Nutzer:innen (Monthly Active Users, MAU) überschreitet. Damit kam ChatGPT gerade in die Nachrichten, nachdem es in dieser Disziplin anscheinend Tiktok geschlagen hat. (ZBW Mediatalk berichtete.)
  • Ist es wichtig, ob oder wann Mastodon oder das Fediverse 100 Millionen Benutzer:innen erreichen? Zunächst mal lässt sich so etwas grundsätzlich kaum prognostizieren. Was die weitere Entwicklung des Fediverse aber fraglos beeinflussen wird, sei es positiv oder negativ: Wenn sich Internet-Konzerne mit mehr als 100 Millionen Endnutzer:innen daran andocken.
  • Denn, wir erinnern uns an Folge 2: Eine der absoluten Besonderheiten des Fediverse ist, dass selbst die Verabschiedung von ActivityPub durch das W3C 2018 noch keine sichtbaren Reaktionen bei den Internet-Konzernen ausgelöst hatte. Dadurch hatten die Communitys mehrere Jahre Zeit, sich über ihre Ziele und Konventionen klar zu werden. In einem kurzen Interview, das die Sendung Breitband mit mir geführt hat, und die am 18. März 2023 auf Deutschlandfunk Kultur ausgestrahlt wurde (und hier nachzuhören ist), hatte ich dies dieses Phänomen als die Konsolidierungsphase des Fediverse beschrieben. Vielleicht ist das ja ein Erfolgsrezept – erstmal in Ruhe zu wachsen, während der Rest der Welt sich von Hype-Themen ablenken lässt?
  • Flipboard ist ein solcher relativ großer Internet-Dienst, und wir sind in dieser Folge darauf eingegangen, dass Flipboard und viele weitere Apps aus dem Ökosystem von Twitter sich zunehmend Mastodon zuwenden. (Heise berichtete.)

Kaum war diese Podcast-Folge abgedreht, war die Nachricht über Flipboard Schnee von gestern. Wer kennt schon Flipboard? Zwei direkt nach dem Drehtermin bekannt gewordene Neuigkeiten erscheinen uns bedeutender:

  • Meta, der Mutterkonzern von Facebook, hat bestätigt, dass er an einem Instagram-gebrandeten Dienst arbeitet, der mit dem ActivityPub-Protokoll kommunizieren wird. (Golem berichtete.) Auch ohne zu wissen, ob und wie diese Nutzer:innen nun genau mit dem Fediverse in Berührung kommen werden – die Nachricht lässt uns natürlich aufhorchen.
  • Zur Erinnerung: Instagram hat mehr als zwei Milliarden aktive Nutzer:innen. Das ist kein Nerdspielzeug, keine interne Wissenschaftskommunikation, sondern ein ein weltumspannendes Massenmedium.
  • Wir waren in dieser Podcast-Serie bereits mehrmals auf die ActivityPub-Plugins für WordPress eingegangen, mit denen sich eine WordPress-Instanz zu einer voll funktionalen Fediverse-Instanz aufrüsten lassen soll. Hierzu lautet die Neuigkeit, dass Automattic, die Firma hinter WordPress, diese Plugins übernimmt und weiterentwickelt.
  • Unter Angabe einer Quelle von 2022 berichtet Wikipedia über WordPress: „WordPress wird von über 40 Prozent aller Websites, deren CMS bekannt ist, eingesetzt und ist damit das am weitesten verbreitete System zu deren Betrieb.“
  • Ich hoffe, wir kommen in den beiden letzten Folgen vom Mastodon im Porzellanladen“ noch dazu, ein wenig zu analysieren, was all dies bedeuten könnte … Kommen wir also nun zum Ausblick:

Ausblick auf Folge 6 – Der Werbeblock

TIB-intern nennen wir die Folge 6 auch den Werbeblock“, denn in dieser Folge reden wir über  unsere eigene Perspektive auf das Fediverse und unsere TIB-eigenen Aktivitäten in diesem Bereich. Was haben Mastodon und das Fediverse gemeinsam mit bisherigen Aktivitäten wie zum Beispiel VIVO und der Allmende offener Forschungsinformationen, wie und warum haben wir für die Fachcommunity Architektur, Bauingenieurswesen und Urbanistik (BAU) die Mastodon-Instanz baudigital.social eröffnet, und was können wir gemeinsam mit der Forschungsinfrastruktur-Community in diesem Bereich mittel- und langfristig erreichen?

Ausblick auf Folge 7 – Der Wrap-Up

Mit dieser Folge kommen wir zum unvermeidlichen Wrap-Up. Wir wollen die stürmische Entwicklung rund um Fediverse und Wissenschaft noch einmal Revue passieren lassen. Welche roten Fäden“ müssen wir zukünftig im Auge behalten, wo ergeben sich neue Herausforderungen und Möglichkeiten insbesondere für die Forschungsinfrastruktur? Wir sind mehr als erfreut über die gute Resonanz auf unseren Podcast in Medien und Community. Insbesondere in Hinsicht auf diese letzte Folge bitten wir Sie, uns noch ein letztes mal mitzuteilen, was Ihnen gefehlt hat, was Sie anders sehen, oder – wer weiß? – welches Thema wir in den TIB-Themencasts als nächstes behandeln sollten.

Kommentieren Sie einfach hier im Blog – oder natürlich auch gerne bei Mastodon!

Was ist der TIB Themencast?

Der TIB Themencast ist ein Videoformat der TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften, das zeitlich begrenzt und in sich abgeschlossen ist. In mehreren Folgen werden aktuelle Themen und Entwicklungen behandelt, die die TIB-Expert:innen kommentieren, kritisch und konstruktiv hinterfragen und diskutieren.

Die Folgen unseres Themencasts gibt es im TIB AV-Portal und überall, wo es Podcasts gibt. Im TIB-Blog gibt es zusätzliche Informationen zu den einzelnen Folgen.

Bibliothekar. 🤓
Leitung Open Science Lab der TIB.
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