Optimierung des Lernraums am TIB-Standort Conti-Campus

Es gilt als Lebenstraum von Bibliotheksdirektoren, einmal im Laufe ihres Berufslebens den Neubau eines Bibliotheksgebäudes zu realisieren. Die nüchterne Realität hingegen ist geprägt von weitaus weniger prestigeträchtigen Optimierungen von Bestandsgebäuden, die teilweise gar nicht als Bibliotheken geplant waren. Nicht anders verhält es sich bei der der TIB: Einzig der 1964 in Betrieb genommene heutige TIB-Standort Technik/Naturwissenschaften ist damals als Bibliothek gebaut worden.1

Baumaßnahmen ab 2008: die Bibliothek als Lernraum

Mit der Modularisierung der Studiengänge im Zuge der Bologna-Reform und der damit einhergehenden Verschulung des Studium veränderten sich auch Lernverhalten und Erwartungen an die Bibliothek. Die Funktion des Lernraums mit längeren Aufenthaltszeiten gewann an Gewicht gegenüber der Nutzung von Bibliotheksbeständen. In der Folge fanden zwischen 2008 und 2014 an beiden großen Standorten der TIB teils sehr umfangreiche Sanierungen und Funktionsanpassungen statt, um die Gebäude technisch zu ertüchtigen (Brandschutz, Elektro- und Datenverteilung) und für die Benutzer bessere Bedingungen insbesondere in den Lesesälen als Lernräumen zu schaffen.

Eine Ausweitung von Gruppenarbeitsmöglichkeiten spielte dabei eine besondere Rolle.2 Dass erst im Zuge dieser Maßnahmen eine Stromversorgung an den Lesesaalarbeitsplätzen zum Normalfall wurde, vermag man sich aus heutiger Perspektive kaum noch vorstellen.

Arbeitsplätze im Lesesaal Erziehungswissenschaften mit Platz für eine weitere Reihe
Arbeitsplätze im Lesesaal Erziehungswissenschaften. Durch Abbau einer Reihe Regale ist bereits Platz für eine weitere Reihe Arbeitsplätze geschaffen.

Der TIB-Standort Conti-Campus mit den Lesesälen Erziehungswissenschaften, Literatur- und Sprachwissenschaften, Rechtwissenschaften sowie Wirtschaftswissenschaften ist mit fast 1.100 Lesesaalplätzen der größte und benutzungsstärkste Standort. 1994 wurde das ehemalige Büro- und Rechenzentrum der Continental-AG nach Umbau als Bibliothek bezogen und 2007/08 um ein fünftes Obergeschoss als Lesesaal Erziehungswissenschaften aufgestockt.

Diese Erweiterung war notwendig geworden, da im Zuge der Neuordnung der Lehrerausbildung in Niedersachsen die Leibniz Universität Hannover den Standort Bismarckstraße in der Südstadt, die ehemalige Pädagogische Hochschule, aufgab. So entstand der bis heute beliebteste Lesesaal, in dem die 90 Arbeitsplätze in Reihen entlang der Fensterbänder und nicht als Tischgruppen aufgestellt sind und jeder Tisch mit Einzelplatzbeleuchtung ausgestattet ist. Vor allem aber sind die Tische hier mit normgerechter Größe von 1,2 m Breite und 0,8 m Tiefe ausgestattet. (Dazu später mehr.)

In einem weiteren Schritt wurde ab 2011 das Erdgeschoss umgebaut, um Fläche besser zu nutzen und die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Bei dieser Gelegenheit erfolgte durch Verlegung des Eingangs eine Öffnung zum Campus hin, und die Garderobenanlage wurde erneuert.

Mangel an Garderobenfächern

Seit Umbau des Erdgeschosses gibt 893 Garderobenfächer, was jedoch deutlich weniger sind, als Lesesaalarbeitsplätze vorhanden sind: Man ging damals davon aus, dass es unwirtschaftlich sei, überhaupt so viele Garderobenfächer wie Arbeitsplätze einzuplanen, schließlich sie die Bibliothek nur selten vollständig ausgelastet. Dies erwies sich als Fehleinschätzung – so wie es auch beim Neubau der Universitätsbibliothek der Humboldt-Universität zu Berlin später als Fehlplanung bewertet wurde, nur so viele Garderobenfächer wie Lesesaalplätze vorzusehen. So heißt es in einem Erfahrungsbericht:

„Die Garderobe des Grimm-Zentrums haben wir viel zu klein gebaut. Im Untergeschoss befinden sich auf engem Raum zwar 1250 Garderobenschränke, deren Anzahl denen der Nutzerarbeitsplätze entspricht. Sie reichen aber bei weitem nicht aus, weil wir die flanierenden Besucher, die Besucher von Ausstellungen, Vortragsraum und Cafeteria, die Abholer und Zurückgeber nicht genügend bedacht haben. Selbstverständlich wird dieser Mangel demnächst behoben […]“3

Ohne die Maßnahmen am Standort Conti-Campus seit der Aufstockung im Detail resümiert zu haben, sind wir damit schon bei einem ersten Punkt angekommen, für den Optimierungsbedarf besteht. Dem Mangel an Garderobenfächern kann man auf unterschiedliche Weise begegnen: Durch Reduzierung der Lesesaalarbeitsplätze (keine ernsthafte Option), Erhöhung der Garderobenkapazität oder durch Aussetzung der Garderobenpflicht. Als die ersten Male die Kapazität an Garderobenfächern erschöpft war, haben wir für den jeweiligen Tag die Garderobenpflicht aufgehoben. 2014 war das an 6 Tagen in der Prüfungsphase im Januar/Februar nötig, und nach Steigerung Jahr für Jahr waren es 2019 schon insgesamt 60 Tage.

Anregungen der Benutzer und Beschränkungen der Umsetzung

Mit der zeitweise starken Auslastung des Standorts sind auch die Benutzer nicht immer zufrieden, so dass es gelegentlich die Frage von Studierenden der Universität gab, ob der Zutritt nicht auf Mitglieder der Universität beschränkt werden könne und Studierende anderer Hochschulen ausgeschlossen werden könnten. Dies wäre durch die Benutzungsordnung freilich nicht legitimiert, auch wenn für die TIB vor Ort die Literatur- und Informationsversorgung der Universität Vorrang hat. Bei speziellen Ressourcen wie reservierbaren Arbeitsplätzen und Gruppenarbeitsräumen sowie Lesesaalschließfächern ist eine solche Beschränkung vertretbar, nicht jedoch bei der Nutzung der Freihandbestände.

Gleichwohl werden Anregungen und Beschwerden wie auch das Verhalten der Benutzer genau beobachtet, ergänzend zu den in größeren Abständen durchgeführten Benutzerbefragungen.4 zu Die einzelne Anregung oder Beschwerde zählt nicht viel, sofern sie sich nicht auf kurzfristige technische Störungen bei Klima- oder Verschattungsanlage bezieht, die sich schnell verifizieren oder falsifizieren lassen. Aus den gesammelten Rückmeldungen von Benutzern in Verbindung mit kontinuierlichen Beobachtungen durch Bibliotheksmitarbeiter hingegen lassen sich hingegen Ideen ableiten, welche weiteren Verbesserungen möglich sind. Dabei sind jedoch einige Randbedingungen zu bedenken:

  • Eine Vergrößerung der Nutzfläche ist im Rahmen einer Lernraumoptimierung nicht möglich.
  • Das Gebäude war nie für die Auslastung gedacht, die sich ergeben hat, als die Zahl der Studierenden an der Leibniz Universität Hannover von ca. 20.000 auf fast 30.000 erhöht hat.
  • Die Ausweitung der Öffnungszeiten von 58 Stunden pro Woche und 298 jährlichen Öffnungstagen im Jahr 2003 auf 102 Stunden pro Woche und 349 jährlichen Öffnungstagen im Jahr 2019 bringt sanitäre Anlage und Raumlufttechnik an ihre Grenzen.
Ehemalige Kopierzone im Erdgeschoss mit Interimsarbeitsplätzen
Interimsarbeitsplätze in der ehemaligen Kopierzone im EG. Hier wird zukünftig eine Erweiterung der Garderobenanlage Platz finden.

Mehr Arbeitsplätze durch bessere Nutzung der Flächen und weitere Optimierungen

Der Mangel an Garderobenfächern ist das eine, ein Mangel an Benutzerarbeitsplätzen ein anderes. An allen Standorte der TIB zusammen gibt es ca. 1.800 Lesesaalarbeitsplätze. Wenn man den Bedarf aufgrund der Zahl der Studierenden an der Universität Hannover nach der Studie „Orte des Selbststudiums 2018“5 kalkuliert, kommt man darauf, dass bei 28.820 Studierenden (Stand 2021/22) mehr als 500 Lernraumplätze in der Bibliothek mehr vorhanden sein sollten.

In der Studie sind die Öffnungsstunden der Bibliothek zwar berücksichtigt, in der Praxis zeigt sich jedoch, dass die Auslastung der Lesesäle zwischen 10 und 18 Uhr am höchsten ist. Schon zwischen 15.30 und 16 Uhr beginnt an den meisten Tagen die Zeit, wo mehr Besucher die Bibliothek verlassen als hineinkommen. Die Besucherzählung zeigt, dass am Wochenende, wenn der TIB-Standort Conti-Campus um 20 Uhr geschlossen wird, die relative Auslastung deutlich höher ist als an Werktagen, wenn bis 24 Uhr geöffnet ist. Dies zeigt, dass sich eine zu geringe Anzahl der Lesesaalarbeitsplätze nicht beliebig durch längere Öffnungszeiten kompensieren lässt.

Solche und andere Beobachtungen haben dazu geführt, 2018 einmal Optimierungsbedarfe und -möglichkeiten systematisch zusammenzutragen, wobei angestrebt war, mit minimalem Aufwand möglichst viel an Verbesserung zu erreichen. Da es jedoch nicht nur um Möblierung und sonstige Ausstattung ging, wurde ein Architekturbüro beauftragt, eine grobe Planung aufgrund der Ideen zu prüfen, auch im Hinblick auf eine Kostenschätzung. Dies mündete in einen Antrag auf Studienqualitätsmittel, der Ende 2021 bewilligt wurde. Ab Ende 2022 begann mit einem neu beauftragten Architekturbüro die Planungsphase. Die Umsetzung soll voraussichtlich bis Ende 2026 abgeschlossen sein.

Ausgangspunkt war der Gedanke, vorhandene Flächen besser zu nutzen, indem durch Umsortierung von Freihandbeständen und Lesesaalarbeitsplätzen die Anzahl der letzteren vergrößert wird, ohne die Flächen für Bestände zu reduzieren. Notwendige Voraussetzung für die Schaffung von mehr Arbeitsplätzen war jedoch eine Erweiterung der Garderobenkapazität. Dafür soll die ehemalige Kopierzone im EG genutzt werden, wo fast 250 weitere Garderobenfächer Platz finden werden. Das ist ziemlich genau die Differenz zwischen den aktuellen Zahlen von Lesesaalplätzen und Garderobenfächern, so dass bei einer Schaffung von bis zu 50 weiteren Lesesaalplätzen wieder eine Differenz entsteht, die aber wenigstens geringer sein wird als vorher.

Als weiterer Mangel ist schon lange die aktustische Trennung zwischen Gruppenarbeitsräumen und Lesesaal bekannt. Aus heutiger Sicht würde man die Gruppenarbeitsräume eher möglichst nahe an der vertikalen Haupterschließung (Treppenhaus und Aufzüge) positionieren, vielleicht auch in den niedrigeren Geschossen. Eine so grundlegende Umgestaltung stünde aber nicht im Einklang mit dem Ziel, mit möglichst wenig Aufwand zu nennenswerten Verbesserungen zu kommen. Daher ist nur vorgesehen, für die vorhandenen Räume den Schallschutz zu verbessern und darüber hinaus die für ruhiges Arbeiten vorgesehenen Lesesaalarbeitsplätze direkt vor den Gruppenarbeitsräumen zu verlagern. Selbst wenn dabei in einem Lesesaal nicht mehr Arbeitsplätze geschaffen werden, hätte man zumindest die qualitative Verbesserung. Die Verlagerung von Beständen und Arbeitsplätzen führt die TIB als Eigenleistung durch.

Weitere Maßnahmen

  • Im Zeitschriftenlesesaal wird ein Bereich abgeteilt, in dem die Arbeitsplätze eine Qualität zwischen den ruhigen Einzelarbeitsplätzen und den lauten Gruppenarbeitsräumen erhalten: Grundsätzlich als ruhige Arbeitsplätze gedacht, wird gelegentlicher ruhiger Austausch zu zweit toleriert. Ob dies funktionieren wird oder nicht, muss sich zeigen. Notfalls können die Arbeitsplätze wieder umgewidmet werden, ohne dass die Zwischenwand zur Abtrennung wieder entfernt werden muss.
  • Die Anzahl der beliebten Lesesaalschließfächer wird von 90 auf 180 verdoppelt, so dass zukünftig eine gemischte Nutzung möglich ist (ein Teil nach Warteliste längerfristig vergeben, ein Teil für spontane Nutzung verfügbar).
  • Die bisherige, durch Vorhang abtrennbaren Schulungszone wird durch einen Schulungsraum mit flexibler Möblierung ersetzt, der aktuellen Anforderungen Rechnung trägt. Ein weiterer, bei Bedarf auch teilbarer Schulungsraum entsteht im Zeitschriftenlesesaal.
  • Die bisherige Schulungszone im Erdgeschoss wird zur Bürofläche (nicht aus Studienqualitätsmitteln finanziert, aber Planung und Durchführung im Zusammenhang mit der Lernraumoptimierung)
  • In der Cafeteria im Erdgeschoss sowie im Eingang zum Zeitschriftenlesesaal (2. Obergeschoss) werden Wasserspender installiert.
Öffentliche PC-Arbeitsplätze, dahinter ehemalige Einzelarbeitsplätze im EG: Dort entsteht der neue Schulungsraum.
Öffentliche PC-Arbeitsplätze, dahinter ehemalige Einzelarbeitsplätze im EG: Dort entsteht der neue Schulungsraum.

Wo neue Räume abgeteilt werden, muss auch geprüft werden, ob Anpassungen der Lüftungsanlage erforderlich sind. In die Jahre gekommen sind auch Elektro- und Datenverteilung; teilweise sind noch Datenleitungen nach Standard Cat 3 im Einsatz.

Erneuerung der Beleuchtung

Über die aus Studienqualitätsmitteln finanzierten Maßnahmen hinaus ist geplant, ab Frühjahr 2024 die Beleuchtung der Lesesäle zu erneuern: Die bisherigen Leuchten mit Leuchtstoffröhren werden durch LED-Beleuchtung ersetzt, um den angesichts von über 100 Öffnungsstunden hohen Energiebedarf allein für die Lesesaalbeleuchtung zu reduzieren. Geprüft wird auch, ob im Bereich der Arbeitsplätze an den Fenster mit einer automatischen Helligkeitssteuerung in Abhängigkeit vom Tageslicht weiteres Einsparpotential besteht.

Erneut verworfen werden musste leider, die Leseplätze in den Lesesälen im 1. bis 4. OG auf von der Größe her normgerechte Tische umzustellen. Anders als im neu geschaffenen Lesesaal Erziehungswissenschaften stehen hier noch Tische mit 1,6 m Breite und 0,8 m Tiefe als zwei Arbeitsplätze zur Verfügung. Dies auf Tische mit 1,2 m Breite pro Arbeitsplatz umzustellen, hätte dazu geführt, dass von den dort angebotenen 786 Einzelarbeitsplätzen etwa ein Drittel verlorengegangen wäre – hier war die quantitative Verbesserung der höherrangige Ziel als die qualitative, zumal es bei mittlerer Auslastung des Standorts durchaus vorkommen kann, dass der einzelne einen Zweiertisch allein nutzen kann.

Beim geplanten Umfang der Bau- und Räumarbeiten lassen sich Beeinträchtigungen wie temporäre Sperrungen und Baulärm nicht vermeiden. Es ist geplant, möglichst nicht in mehr als zwei Stockwerken gleichzeitig zu arbeiten und auf Zeiträume mit hoher Auslastung der Lernräume Rücksicht zu nehmen.

... ist Leiter des Bereichs Lokale Dienste.

Notes:
1. Gerhart Schlitt und Jobst Tehnzen: „Universitätsbibliothek und Technische Informationsbibliothek Hannover. Fünf Jahre im neuen Gebäude“. In: Dokumentation, Fachbibliothek, Werksbücherei 18 (Sonderheft 1969/1970).
2. Zu den Maßnahmen im einzelnen vgl. die Jahresberichte der TIB: https://www.tib.eu/de/die-tib/veroeffentlichungen/archiv-jahresberichte.
3. Milan Bulaty: Ästhetik – Funktionalität – Wirtschaftlichkeit. Erfahrungen beim Bau des Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrums der Humboldt-Universität zu Berlin. In: Bibliotheken heute! Best practice bei Planung, Bau und Ausstattung: Hrsg. von Petra Hauke und Klaus Ulrich Werner. Bad Honnef 2011, S. 143-150, hier S. 149 (Preprint: https://edoc.hu-berlin.de/handle/18452/2867)
5. Bernd Vogel u.a.: Orte des Selbststudiums 2018. Eine empirische Studie zur zeitlichen und räumlichen Organisation des Lernens von Studierenden. Hannover 2019. Mit den Ergebnissen der ersten Studie von 2013 sind diese Bedarfszahlen auch in die Norm „Bau von Bibliotheken und Archiven – Anforderungen und Empfehlungen für die Planung“ (DIN 67700:2017-05) eingegangen (Abschnitt 6.4.2.2).