Im Laufe der Zeit: Frauen an der TIB

Mehr als 100 Jahre ist es her, dass mit Elisabeth Boedeker eine der ersten Frauen an der TIB arbeitete, die damals noch „Bibliothek der Technischen Hochschule“ hieß. Heute arbeiten an der TIB mehr als 600 Menschen, davon sind fast 60 Prozent Frauen. Welche Rolle Frauen an der TIB spielten und spielen, zeigt Dr. Andreas Lütjen, der den Bereich Medien- und Lizenzmanagement an der TIB leitet, in diesem Blogbeitrag. In seinem 2023 erschienenen Buch „Bibliothekarische Frauenbiographien zwischen Weimarer und Bonner Republik“ skizziert er die Biographien zweier Frauen – von Elisabeth Boedeker und Dr. Elisabeth Weber –, die einen Großteil ihres Arbeitslebens an der TIB verbrachten und maßgeblich zur Entwicklung der Bibliothek beigetragen haben.

Anlässlich des 100-jährigen Jubiläums der Technischen Hochschule Hannover konstatierte Paul Trommsdorff (1870–1940), seit 1922 Leiter der Bibliothek, im Jahr 1931:

„Nunmehr hatte man erkannt, daß es ohne genügende und geschulte Arbeitskräfte nicht möglich war, die Bibliothek in die Höhe zu bringen. Es wurde daher die Annahme von zwei Angestellten mit Fachausbildung für den mittleren Bibliotheksdienst genehmigt und die Stelle eines Bibliothekssekretärs geschaffen. Zugleich erhielt die Bibliothek das Recht, Praktikanten für den mittleren Dienst auszubilden.“ [i]

Wilhelm Grunwald (1909-1989), einer seiner Nachfolger im Amt und 1959 Gründungsdirektor der Technischen Informationsbibliothek, schrieb 25 Jahre nach Trommsdorff:

„Die künftige Entwicklung der Bibliothek wird entscheidend davon abhängen, wieweit sie personell in die Lage versetzt wird, ihre weitreichenden und differenzierten Aufgaben wirklich konstruktiv zu lösen.“ [ii]

Die beiden „Angestellten mit Fachausbildung“, von denen Trommsdorff gesprochen hatte und denen Grunwald 1956 in der Festschrift zum 125-jährigen Jubiläum der Bibliothek namentlich für deren über 30-jährige Mitarbeit in der Bibliothek der Technischen Hochschule (BTH) dankte, waren zwei Frauen: Elisabeth Boedeker (1893-1980) und Annemarie Lueder (1901-1965).

Heute arbeiten mehr als 350 Frauen an der TIB

Eine stetige erfolgreiche Entwicklung der Bibliothek führte dazu, dass in der heutigen Stiftung Technische Informationsbibliothek (TIB) im Jahr 2023 insgesamt 611 Beschäftigte tätig waren, inklusive der studentischen Aushilfskräfte und der Azubis. Davon sind 359 Frauen: Das entspricht einem Anteil von knapp 59 Prozent. Während der Frauenanteil im gehobenen Dienst mit 69 Prozent am höchsten liegt, beträgt er im mittleren Dienst aktuell 58 Prozent und im höheren Dienst gegenwärtig 45 Prozent. Dabei muss man in Rechnung stellen, dass die TIB in ihren Kernfächern auf Technik und Naturwissenschaften spezialisiert ist und Frauen in diesen Fächern lange stark unterrepräsentiert waren.

Im Bereich Medien- und Lizenzmanagement, der im Wesentlichen vom mittleren und gehobenen Dienst getragen wird, sind zurzeit 80 Frauen und 15 Männer beschäftigt. Auch wegen dieser Asymmetrie war mein Interesse als Bereichsleiter geweckt, mehr über die Arbeitsbedingungen der Frauen zu erfahren, die in den 1920er- bis 1950er-Jahren in der BTH tätig waren, als 2019 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ein Artikel über die Diplom-Bibliothekarin und Feministin Elisabeth Boedeker erschien.

Elisabeth Boedeker und Elisabeth Weber: Zwei Bibliothekarinnen an der BTH

Elisabeth Boedeker hatte in den Jahren von 1935 bis 1939 eine vierbändige Bibliographie mit dem Titel „25 Jahre Frauenstudium in Deutschland. Verzeichnis der Doktorarbeiten von Frauen 1908-1933“ veröffentlicht, die auch die jüdischen Doktorinnen nicht verschwieg. Sie korrespondierte 1940 unter anderem mit dem ehemaligen Leipziger Bibliotheksdirektor Otto Glauning (1876-1941), der im „Zentralblatt für Bibliothekswesen“ mit seinem Aufsatz „Der weibliche mittlere Dienst“ [iii] für die Frauen eintrat, nachdem der Dresdner Bibliotheksdirektor Ernst Koch (1899-1973) ihnen 1939 in derselben Zeitschrift ein vernichtendes und äußerst unfaires Zeugnis ausgestellt hatte [iv].Boedekers zehn Jahre jüngere Kollegin Elisabeth Weber (1903-1948) strebte  während ihrer Karriere den Aufstieg als Quereinsteigerin vom mittleren bis in den höheren Bibliotheksdienst an und hatte ihn kurz vor ihrem Unfalltod 1948 auch beinahe erreicht. Sie geriet Anfang 1945 wegen regimekritischer Äußerungen, die sie auch während eines Verhörs durch die Göttinger Gestapo nicht widerrief, in Haft.

Titelbild des Buches von Dr. Andreas Lütjen
„Bibliothekarische Frauenbiographien zwischen Weimarer und Bonner Republik – dargestellt an den paradigmatischen Lebensläufen von Elisabeth Boedeker (1893-1980) und Dr. Elisabeth Weber (1903-1948), Bibliothekarinnen an der Bibliothek der Technischen Hochschule Hannover“ von Dr. Andreas Lütjen // Foto: TIB

Die Lebensläufe beider Frauen sind Teil der institutionellen Geschichte der heutigen TIB, die in der Mitte 2023 erschienenen Monographie unter dem Titel „Bibliothekarische Frauenbiographien zwischen Weimarer und Bonner Republik – dargestellt an den paradigmatischen Lebensläufen von Elisabeth Boedeker (1893-1980) und Dr. Elisabeth Weber (1903-1948), Bibliothekarinnen an der Bibliothek der Technischen Hochschule Hannover“ beleuchtet wird.

Petra Mensing stellte das Buch in ihrer Funktion als Ausbildungsleiterin der TIB aus Perspektive der bibliothekarischen Ausbildung im TIB-Blog vor.

[i] Paul Trommsdorff: Die Bibliothek. Ein Überblick über die Entwicklung, in: 100 Jahre Technische Hochschule Hannover. Festschrift zur Hundertjahrfeier am 15. Juni 1931. Herausgegeben im Auftrage von Rektor und Senat, Hannover 1931. S. 343-353.

[ii] Wilhelm Grunwald: Die Hochschulbibliothek, in: Festschrift zur 125-Jahrfeier der Technischen Hochschule Hannover 1831-1956. Schriftleitung Wilhelm Busch, Hannover 1956. S. 239-244.

[iii] Otto Glauning: Der weibliche mittlere Dienst, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 57 (1940). S. 164-167.

[iv] Ernst Koch: Die Bibliothek der Technischen Hochschule und die Industrie, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen 56 (1939). S. 476-484.

Noch mehr Interessantes zu Frauen an der TIB erfahren Sie im Interview „Drei Fragen an …“ mit Michaela Ohlhoff, der Gleichstellungsbeauftragten der TIB. Darin spricht sie über Gleichberechtigung, Chancenvielfalt und Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Was hat sich in diesen Bereichen in den letzten Jahren getan und was gibt es noch zu tun?

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... leitet den Bereich Medien- und Lizenzmanagement an der TIB und ist zuständig für die Betreuung des Gewerkschaftsarchivs, des Peter-Brückner-Archivs und der sozialwissenschaftlichen Nachlässe und Sammlungen am Standort TIB Sozialwissenschaften